Esfahan 20.11.2022 – 21.11.2022

Veröffentlicht in: Aktuell, Allgemein, Iran | 0

Unsere Millionen sind alle, die letzten haben wir in Diesel umgetauscht. Vor dem ersten Stadtrundgang holen wir uns Nachschub im Hotel Abbasi.

Gleich hinter dem Hotelparkplatz beginnt ein Park. Vobei am Hasht-Behescht Palast geht es zu einem grünen Boulevard. Schattenbäume, Wasserrinnen, die im Sommer kühlen, Bänke zum Verweilen, kleine Geschäfte und Kunst.

Viele Leute sind unterwegs, sitzen auf den Bänken, plaudern, lesen, alles wirkt sehr entspannt. Zwei junge Frauen überholen uns, drehen sich um und starren uns an. „Hello“ sage ich. „Are you tourists?!“ fragen sie aufgregt „Welcome!!“

Die Fußgängermeile steuert direkt auf die 33-Bogen-Brücke zu. Si-o-se-Pol lautet der persiche Name. 290 Meter Länge, über 13 Meter breit, im 17.Jhd erbaut und für den Autoverkehr gesperrt. Ein Mann steht an einen Bogen gelehnt und singt mit voller, lauter Stimme. Der Gesang von Männern hat Tradition auf der Brücke, wunderbar, daß wir das erleben können.

Die Brücke führt über den Zayandeh Rud. Dieser war einst der wasserreichste Fluss in Zentraliran, die Lebensader der Stadt. Seit den 2000er Jahren trocknet er aus. Durch Übernutzung und fehlende Niederschläge hat er nur noch selten Wasser. 2018 blieb er zum erstenmal ganzjährig trocken. Ein Berg Tretboote liegt am Ufer und wartet auf Einsatz. Ein trauriges Bild.

Südlich der Brücke beginnt das Armenische Viertel.

Auf dem Weg zur Vank Kathedrale begraben wir ein Vorurteil: wir dachten, im Iran sei alles Amerikanische reines Teufelswerk. Mitnichten:

Angebissene Äpfel, Micky Mouse, Minions, Sponge Bob, alle tummeln sich munter in den Schaufenstern.

Das Armenische Viertel ist uralt und christlich geprägt – nächstes Vorurteil begraben: auch andere Religionen werden im Iran ausgeübt. Viele Frauen tragen offene Haare, kein Kopftuch, die Atmosphäre ist locker und entspannt. Wir umkreisen einmal die Vank Kathedrale, bis wir den Eingang finden.

Welche Pracht!

Beeindruckend, dieses riesige, farbenfrohe Wandgemälde!

Ach du meine Güte! Das ist ja ein einziges Horrorkabinett!! Folter, Angst und Schrecken in Multicolor

Puh….schnell raus aus der Folterkammer in die Sonne.

Im angeschlossenen Museum bewundern wir uralte Bücher. Eng beschriebene Seiten, hunderte von Jahren alt, kunstvoll verziert mit Zeichnungen und Mustern. Christlich-religiöses Kunsthandwerk, Stickereien, Silberschmiedarbeiten und Elfenbeinschnitzereien.

In einem Gebäude wird eine Ausstellung über das frühere Alltagsleben der Armenier gezeigt. Kleider, Möbel, Haushaltsgegenstände, wissenschaftliche Instrumente, eine schöne, kleine Sammlung.

 

Im Café um die Ecke bestellen wir Limonade und Orangensft. „Aus Deutschland?“ fragt der Kellner. „Ich spreche etwas deutsch. Möchtet ihr ein Bier?“ Lachend lehnen wir ab, die Limonade schmeckt ausgezeichnet. Mit einer jungen Frau kommen wir ins Gespräch, ihr Bruder studiert in Köln. Wie es uns im Iran gefällt? Gut, sagen wir – wohlweislich politische Themen vermeidend. Sie lächelt: „Ich kenne die Berichterstattung über den Iran in Europa. Aber wir sind nicht so, es ist nur unsere Regierung. Im Moment haben wir eine große Krise, aber die Leute sind anders, als im Fernsehen gezeigt wird. Was ihr hört, ist nicht das, was ihr seht, oder?“ Erstaunlich offene Worte.

„Eine Million Zweihundertfünfzigtausend Hundert“ sagt der Kellner, als wir zahlen möchten. Sehr sympathisch.

Langsam wandern wir durchs Viertel zurück zum Fluss. Vorbei an Mr. Hotdog. In einem winzigen Laden kaufen wir Kartoffeln, der Ladenbesitzer staunt: „Tourist?!“

Die Abendsonne scheint auf die Bogenbrücke.

Im kleinen Park am Ufer treffen sich Freizeitsportler. Und Sportlerinnen. Frauen und Männer trainieren gemeinsam in gemischten Gruppen. Nicht wenige Frauen tragen hautenge Sportkleidung, manche mit, manche ohne Kopftuch. Ein paar junge Frauen haben kurzgeschnittene Haare. Joggerinnen ziehen an uns vorbei. Zwei Leute gehen mit ihren Hunden Gassi. Vorurteil Nr 3 und 4 : Sport ist verboten und Hunde unrein, verschwinden im Müll. Mag sein, daß das Armenische Viertel in Esfahan eine Ausnahme darstellt, aber ist es nicht schön, daß es Ausnahmen gibt?

Über die Brücke zurück. Angesichts des tosenden, chaotischen Verkehrs am Kreisel zögern wir. Wir müssen da irgendwie rüber. Die Ampeln funktionieren nicht, Zebrastreifen Fehlanzeige. Ein junger Mann neben uns sagt: „don´t worry, just move on! They won´t stop, but they will let you pass!“ Sie werden nicht anhalten, aber sie werden euch vorbei lassen…..Todesmutig stürzen wir uns zwischen die Autos….und überleben!

Durch den friedlichen Boulevard schlendern wir vorbei an moralischer Unterweisung

Immer wieder werden wir gegrüßt: „Welcome!“

Die Kuppel einer Moschee verschwindet fast unter den Stacheln des abenteuerlichen Gerüsts. Im Hogan Bazaar glitzern Juwelen und Gold. Riesige Tischaufsätze, monströse Silberschwäne, Schalen groß wie Babybadewannen und Pokale in Silber.

Esfahan fühlt sich entspannt und angenehm an. Das tut gut. Ungewöhnlich, wie sehr wir auffallen. Ständig bleiben Leute stehen, gucken und  grüßen. Mit Touristen rechnet im Moment niemand. „Tourist?! Salam, welcome!“ Schön und fremd. Wir fühlen uns hier willkommen.

 

Im Abbasi Hotel tauschen wir am nächsten Morgen ein paar US$ in Kuwait$. Die werden wir fürs Visum an der Grenze brauchen. Das Abbasi ist ein ziemlich edler Schuppen, ursprünglich die älteste Karawanserei Esfahans. Aber davon ist nichts übrig.

So wird die iranische Nationalelf bei der WM in Qatar unterstützt

Wir sind unterwegs zum Naqsch-e Jahan Platz. Im Altstadtviertel werden Lehmhäuser restauriert, wir verfranseln uns etwas. Hinter der Mauer ist der Platz, aber wo ist der Eingang?

Gefunden!

160 Meter bteit und 560 Meter lang, der größte umbaute Platz der Welt. In den Arkaden ringsum befindet sich einer der ältesten Bazare der Welt.

Am Kopfende residiert die Imam Moschee. Was für eine Schönheit!

1Million kostet der Eintritt.

Ein viereckiger Platz, die Gebäude über und über verziert mit Kacheln und Mosaiken, die Größe schier überwältigend

wie winzig die Menschen sind

 

wir gehen mal rein

 

Ein Reiseführer macht uns auf einen Stein im Boden direkt unter der Kuppel aufmerksam. Martin soll sich draufstellen und in die Hände klatschen.

Das Echo kommt völlig überraschend. Laut. Es entsteht durch die spezielle Konstruktion der 53 Meter hohen Kuppel erklärt der Guide.

Er zeigt uns die Grube im Boden, von der aus der Imam predigt. Der Imam soll Demut zeigen und nicht über den Betenden stehen.

An der Wand hinter Martin steht eine Treppe aus Marmor, geschnitzt aus einem Block. Von hier aus unterrichtet der Imam seine Schüler.

 

Wir wandern umher und schauen uns um. Tief beeindruckt verlassen wir die Moschee.

 

Ein junger Mann spricht uns auf deutsch an. „Was denken die Deutschen über Iran?“

Oh, dünnes Eis, wir reden drumrum.

„Sehr gefährlich?“ fragt der junge Mann nach. „Iran hat keinen guten Ruf in der Welt“ sagt er traurig „aber wir sind nicht so.“

„Ja“ antworten wir, „deshalb sind wir hier, um selber zu sehen und zu erzählen.“

 

An der Westseite liegt der Ali Qapu Palast. Shah Abbas II. traf hier die Bevölkerung und ließ zur Belustigung Wettbewerbe auf dem Platz veranstalten, die er von seiner Terrasse aus verfolgte.

„YOU DON´T NEED TO WEAR A SCARF!!“ schallt es laut über den Platz. Ich schaue mich um, eine Gruppe Frauen winkt mir zu. „Hello!“ wir unterhalten uns. Ich müsse den Schal nicht tragen, erklären sie mir. Eine zupft an meinem Kopftuch herum. „Dies ist nicht mein Land, ich bin hier Gast und möchte Respekt zeigen“ antworte ich. Dafür haben sie Verständnis. Aber falls ich das Ding abnehmen möchte: no problem. Sie sind Freundinnen seit Schulzeiten, sehr nett und sehr lustig.

Wir wollen den Gewürzmarkt finden und entern den Grand Bazaar. Schier endlose Gassen…

Hupende Lastenmopeds mit breiten Ladeflächen lassen uns zur Seite springen. Motorräder brausen durch die Gassen. Heftiger Verkehr im Bazaar, es ist mehr ein überdachtes Stadtviertel als eine Markthalle.

Kein Krümelchen Gewürz in Sicht. Am Ende stehen wir draußen auf einem staubigen Platz. Aber irgendwo soll ein Gewürzmarkt sein….wir irren durch das Viertel…

Finden den nächsten Bazaar, schlendern durch enge Ladengassen, entdecken einen tollen Erdbeeranzug und viele kleine Moscheen. Aber keine Gewürze….

Martin fragt in einem Geschäft nach, der junge Mann ruft einen Freund an, der besser englisch spricht. Dieser schickt uns zum Naqsch-e Jahan zurück. Nein, nein, da gab es doch nur Teppiche und mannshohe Teekannen……

Durch ein Tor fällt der Blick in einen grünen Hinterhof mit Cafe´s. Wunderbar! Pause und etwas essen. Wenig später steht frisch gepresster Granatapfelsaft, eine Schale Osh –> grüne Bohnensuppe mit Nudeln und Minze – Rührei mit Tomaten, Auberginen, Petersilie und rohen Zwiebeln vor uns. Sehr schön angerichtet und köstlich! Als Nachtisch gibt es frischen Karottensaft mit Safran-Vanilleeis. Ein Gedicht!

An den Nebentischen sitzen Familien und Studenten, die Frauen mal mit, mal ohne Kopftuch. Wir fragen die Wirtin nach dem Gewürzemarkt. Am Naqsch-e Jahan sei der beste. Also doch….

Zuück am großen Platz, einmal ringsrum – der Platz ist wirklich sehr groß – nochmal vorbei am Ali Qapu Palast und der Imam Moschee. Die Sheikh Lotfollah Moschee an der Ostseite wirkt dagegen recht bescheiden

Wir streifen durch die Arkaden. Hier gibt´s alles, nur keine Gewürze

Erst ganz am Ende von unserem Rundgang duftet es plötzlich nach Kräutern. Wir haben es gefunden! Große Kegel und Schalen mit Gewürzen, Säcke voll Kräutern. Bunt gestreifte Gewürzmischungen, in Schichten übereinandergehäuft, getrocknete Zitronen – von samtigbraun bis schwarz – viele unbekannte Trockenpflanzen.

 

Hamid spricht uns an. 10 jahre hat er in Freiburg gelebt, jetzt hat ihn die Familie zurückbeordert, um die Firma zu übernehmen. Seine Familie gehört zu den ältesten im Iran, Tuchdrucker seit vielen Generationen. Er will uns seinen Laden zeigen, wir willigen ein. Kreuz und quer durch ein Labyinth von Gängen bis in einen hellen, kleinen Hof mitten im Bazaar. Hier hat der Urgroßvater seine Werkstatt gehabt. Heute ist dies der kleine Laden. Der Onkel sitzt im Schneidersitz auf dem Boden und bedruckt ein Tuch mit geschnitzten Modeln aus Birnenholz. Auf lederbezogenen Trommeln rührt er Farben an. Schwarz aus Walnussschalen, blau aus Indigo, orange aus Maulbeer. Hamid erklärt begeistert die Herstellung, wie sie die Farben anmischen, woher sie die Baumwolle beziehen, wie die Stoffe vorbehandelt werden, wie gedruckt, handgemalt und bestickt wird. Er erzählt, wie sie neue Muster entwickeln, die dann von Hand in Birnenholz geschnitzt werden und von der diebischen Konkurenz. Die Qualität ist beeindruckend. Wir verlieben uns auf Anhieb in eine große Decke. Die nehmen wir mit, als schöne Erinnerung an den Iran.

„Ich gebe euch noch meine Telefonnummer. Falls ihr Hilfe braucht, bitte ruft mich an!“ versichert Hamid noch. Dankschön! Glücklich und zufrieden wandern wir nach Hause. Ohne Gewürze, aber mit einer schönen Decke und ebenso schönen Erinnerungen.

Wärmere Jacke an und gleich wieder los. Zum Sonnenuntergang bei der 33-Bogen-Brücke. Eine junge Frau winkt uns aus einem Café heraus zu: „Welcome! Come, have Tea!“ Keine Zeit, später vielleicht.

 

Plötzlich ist die Strasse schwarz von Tschadorträgerinnen. Vor der Brücke ist Polizei aufgefahren, schwer bewaffnete Polizisten stehen überall. Wir wissen, daß es vor ein paar Tagen an einer anderen Brücke zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam.

Zögern…sollen wir besser umdrehen?

Keine Menschenansammlung in Sicht. Außer der Polizeipräsenz wirkt alles ruhig. Nicht nervös werden, wir setzen uns erstmal auf die Stufen am Ufer, etwas abseits. Abwarten….

Scheinwerfer tauchen die Brücke in orangefarbenes Licht. Familien kommen zum Ufer, die Eltern rauchen Shisha, die Kinder spielen, Pärchen halten Händchen, Gelächter

Alles bleibt friedlich

Durch den beleuchteten Boulevard schlendern wir nach Hause.

Iran spielt heute bei der FußballWM. In jedem Geschäft läuft der Fernseher, alle schauen gebannt hin. Bei einem Kiosk bleiben wir stehen, um zu gucken. Hinter uns giggelt und kichert es. Ich drehe mich um, 4 junge Frauen in schwarz starren mich an. „Hello!“ sage ich. „Are you Tourists?“ Wieder diese Frage mit großem Staunen in der Stimme. „Welcome!“  Einfach zauberhaft.

Ein perfekter Sichelmond leuchtet über der Rappelkiste. Wir stehen noch ein wenig draußen.

Esfahan versöhnt uns mit allem, was wir bisher im Iran als unangenehm empfunden haben. Die Stimmung in der Stadt ist locker, die Menschen fröhlich, neugierig, unglaublich freundlich und offen. Gut, daß wir hierhergefahren sind.

Trotzdem zieht es uns fort aus dem Iran. Wir möchten nicht länger bleiben. Von Esfahan abgesehen, fühlen wir uns im Land nicht wohl, wir möchten raus. Morgen machen wir uns auf den langen Weg zur irakischen Grenze.

Bis bald, liebe Grüße!

Julia & Martin

Drink positive!

Auf Instagram: Rappelkisteberlin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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