Ostanatolien – der superlange Fahrtag: durch die Berge zum schwarzen Meer 26.04.2022

Veröffentlicht in: Aktuell, Allgemein, Türkei | 0

Am gegenüberliegenden Ufer rauscht ein langer Güterzug vorbei. Hinter den Bahnschienen liegt ein verlassenes Ruinendorf, dort hätte man auch sehr gut übernachten können.

Ein Rudel von 5 wilden Riesenhunden tollt herum und sucht essbares, zum Glück kommen sie nicht zu uns rüber…..

Unser Platz an der kaum befahrenen Strasse neben dem Karasu Fluß war super! Martin sorgt für klare Sicht, Rappelkiste ist bereit, heute geht es quer durch die Berge Ostanatoliens bis zur Schwarzmeerküste.

Erzurum ist nicht mehr weit,

wir biegen jedoch vorher nach Norden ab. Entlang der 4-spurigen Strasse liegen mehrere Dörfer hintereinander. Auf den Flachdächern der Häuser stapeln sich Heuballen, so wird gleichzeitig gelagert und für Wärmedämmung gesorgt. Darüber ein Wellblechdach. Vor den Moscheen lagern große Holzhaufen für die Winterheizung.

Auf den steilen Hängen sehen wir Bauernfamilien, die den Boden mühevoll mit kleinen Hacken bearbeiten. Die Hirten machen es sich am Strassenrand etwas gemütlicher.

Auf 2349 Metern überqueren wir nach einer ¾ Stunde den ersten Pass.

Karge Berge mit mageren Grasmatten, am Horizont ein gewaltiges Bergmassiv, ob wir da rüber müssen? Die Besiedelung wird dünner, einsame Dörfchen, nicht mehr als eine Handvoll Häuser, weltverlassen.

Eine wunderschöne Landschaft, neben uns schlängelt sich das Flüßchen nach Lust und Laune durch die Wiesen. Wir rollen durch Toprakkale, fast eine „Kleinstadt“ mit Geschäften. Und da ist schon die nächste Passhöhe auf 2248 Metern.

Von jedem Hügel fließt das Schmelzwasser, das ganze Land ist überschwemmt. Rinderherden ziehen frei herum. Einige schlecken die Streusalzreste von der Strasse.

Gölyurt Geçidi – Pass Nr 3. Ein grandioser Blick auf den beeindruckenden Gebirgszug der Pontischen Berge, fast 4000 Meter hoch. Jetzt geht es steil bergab ins Tal, am Strassenrand blühen Mandelbäume und Flieder.

Der Frühling ist da! Und das Flüßchen wird zum reißenden Fluss namens Çoruh.

Die nächste größere Stadt ist Ispir. Auch hier lagern überall vor den Häusern Holzhaufen für die Ofenheizungen.

 

Hinter Ispir erwartet uns eine spektakuläre Schluchtenfahrt, immer entlang des Çoruh. Wir überqueren den Gülübag Stausee, im See viele Plastikflaschen, ein trauriger Anblick.

In den kargen Dörfern aus Stein- und Holzhäusern gibt es keine Wasserleitungen. Das Wasser wird vom Dorfbrunnen geholt. Ein Mann trägt mit gebeugtem Rücken 2 schwere Kanister den Berg hoch. Immer noch ein hartes Leben in den anatolischen Bergen, fast wie vor 100 Jahren: Holzheizung und kein fließendes Wasser, keine Kanalisation, Klohäuschen auf dem Hof.

Aber schnelles Internet!

 

Drei Stunden sind wir bis jetzt gefahren: höchste Zeit für die Mittagspause.

 

 

 

Ein warmer Wind weht durch die Schlucht. Martin entdeckt, daß sich die Fettkappe am linken Reifen gelöst hat, Fett quillt raus. Mit dem Gummihammer klopft er die Kappe vorsichtig wieder rein und schmiert die Lager ab.

Alles sauber, wir starten wieder. Nach 3 Kilometern die erste Fettkappenkontrolle – alles gut!

Ein abenteuerlicher Fußweg am Fels verbindet die Orte am anderen Ufer.

Links und rechts türmen sich die Schuttberge der letzten Erdrutsche. Die Leitplanken und die Fanggitter sind von schweren Brocken total verbogen.

Die Berge wechseln die Farbe: von beige-grau zu rötlich-grün

Eine fantastische Landschaft! Der Çoruh ist vom reißenden Fluß zum träge fließenden See geworden. Ein paar Fischzuchtanlagen schwimmen darauf. Wir brummen durch Tüneli T1 und wenig später durch Tüneli T2. Dann wieder Fettkontrolle: nicht gut. Die Kappe sitzt wieder locker, Fett quillt raus. Mist. Nochmal festklopfen und weiter.

Vor uns erhebt sich die Staumauer des Arkun Baraj Gölü, wir kurven hinunter und verlassen die Provinz Erzurum.

Hinter der Staumauer breitet sich ein grünes Tal aus, nach vielen Kilometern auch mal wieder ein Dorf, wir sind in der Provinz Artvin. Nächste Fettkontrolle: Mist. Festklopfen und Fett nachdrücken. Das ist garnicht gut.

Tüneli T3 ist noch nicht fertig, die Rappelkiste erklimmt die Umfahrung.

Jetzt wird´s abenteuerlicher: der Weg führt einspurig um die Felsen herum, nicht lang und wir stehen vor Tüneli Nr 4, ebenfalls nicht fertig. Wieder eine Umfahrung.

 

Über schmale Strassen, zwischen Felsen hindurch, über brüchig wirkende Brücken….

Landschaftlich ganz wunderbar, aber jetzt kommen wir nicht mehr schnell voran, die Strecke zieht sich.

Weit voraus staubt eine Baustelle, darüber ein gewaltiges Bauwerk, eine meterhohe Brücke. Wir rollen darauf zu, die Strasse wird zur Baustellenpiste. Sind wir hier richtig?

Scheint so, denn uns kommen Pkws entgegen. Also mitten durch die Baustelle. Unfassbar, dieses gigantische Strassenbauprojekt. Wieviele Kubikmeter Stein hier bewegt werden.

Auf den Abraumhalden vom Tunnel- und Brückenbau sind neue Siedlungen entstanden.

Wir stoppen vor einem provisorischen Hinweisschild. Nach Yusufeli links abbiegen. Geradeaus ist auch eine Piste, aber die führt laut Karte in eine Sackgasse. Also gut.

Was wir noch nicht ahnen: dieser Abzweig wird uns noch viel Nerven kosten!

 

Der Çoruh bleibt unser treuer Begleiter.

 

Neben den Abraumhalden wirken die alten Dörfer verloren.

Unsere Strasse verengt sich, kommt uns jemand entgegen, muß irgendwie auf die Seite ausgewichen werden. Schwierig, wenn direkt neben dir das Flußufer ist. Wir kommen noch langsamer voran. Fünf Stunden Fahrzeit und 217 Kilometer geschafft. Ein Schnitt von 43km/h.

Doch es kommt noch besser:….eine Ortschaft….

Enge Durchfahrt, tiefe Balkons, parkende Autos, Gegenverkehr…..Rappelkiste macht sich schmal und fädelt sich haarscharf hindurch, im Schneckentempo, vorsichtig….immer freundlich begrüßt von den Einwohnern.

Geschafft, wir sind erleichtert.

Aber es bleibt anstrengend. Ein Taxi, das uns in der Kurve entgegenkommt, muß rückwärts bis zur nächsten Haltebucht. Bei der Vorstellung, über diese Brücke fahren zu müssen wird mir schlecht.

Und was sehe ich da am anderen Ufer? Ja, genau! Eine wunderbar breite, gut befahrbare Piste!

Wären wir nicht abgebogen, könnten wir am anderen Ufer ganz flott ohne Engstellen, Dörfer, Balkons usw durchbrettern!!! Grrrrrrr……

 

Endlich sind wir in Yusufeli.

Und gleich weiter, Yusufeli ist keine besondere Schönheit.

Jetzt geht es schneller voran, wir sausen hinein in den Tunnel. Gleich im ersten rennt ein wilder Hund kurzentschlossen über die Fahrbahn. Tunnel 2, 3, 4, 5 und 6, nach Artvin soll es irgendwann links gehen.

„In 200 Metern links abbiegen, aber hier geht nix links…“ rätsele ich. Die Brücke ist gesperrt, geradeaus kämen wir zurück nach Erzurum. Gab es vorher irgendeinen Hinweis? Nein.

Also umdrehen und 7,5 Kilometer zurück nach Yusufeli brausen. Fast 6 Stunden unterwegs, erst 239 Kilometer geschafft.

Ein winziges Schildchen weist rechts nach Artvin. Wir schrauben uns steil  bergauf und landen in einer elendlangen Betonröhre mit „Fenstern“.

 

 

 

Fünf Minuten dauert diese Tunnelfahrt und es geht direkt in den nächsten, fast 5 Kilometer lang.

Und von da aus in den nächsten Tunnel. Und in den nächsten und in den nächsten…….usw usw. Für die kommenden 65 Kilometer….

Zwischendrin erhaschen wir kurze Ausblicke auf die Berge, die wilden Felsen und den Çoruh, der breit, wunderschön und ruhig dahinfließt.

Obenauf schwimmen Hunderte Plastikflaschen, traurig….

Tunnel, Brücke, Tunnel, Brücke, hell, dunkel, hell, dunkel.

Immer wieder kurze fantastische Blicke auf die bizarren Berge, die Schlucht und den Fluss. Eine grandiose Landschaft! Auf einem Seitenstreifen halten wir, Pause und Fettkontrolle…..festklopfen, Fett nachdrücken….nicht genervt sein…

Tunnel, Tunnel, Tunnel, oft verschwinden wir für mehrere Minuten im Berg…rein in die Röhre und wieder raus, 41 Tunnel insgesamt.

Bereit für ein Tunnel Rennen?

Achtung! Schwindelgefahr! Schnelldurchlauf!

 

 

Hinter der Staumauer liegt tief im Tal Artvin. Über Serpentinen geht es hinab, an einer Kreuzung der erste Wegweiser nach Batumi! Georgien ist nicht mehr weit!!

18 Uhr, seit 9 Stunden sind wir unterwegs, wir sollten in Artvin Feierabend machen.

Andererseits sind es nur noch 60 Kilometer bis zum Schwarzen Meer…..wir ziehen durch!

Die Sonne verschwindet hinter den Bergen. Auf einmal ist die Landschaft saftig grün, dichter Wald bedeckt die Felsen. Hinter der nächsten Staumauer liegt Borçka. Seit langem stauen wir uns mal wieder durch den Stadtverkehr.

Schön, duch diese grüne Frühlingslandschaft zu sausen. Hin und wieder ein paar Häuser, teilweise von abenteuerlicher Bauart.

Und nochmal ellenlange Tunnel und Baustellen, wir schlucken Staub…irgendwo hinter den 7 Bergen liegt das Schwarze Meer….

Kurz vor Hopa hunderte geparkte Lkws, seltsam.

Wir rollen durch die Stadt und da ist es…..das Schwarze Meer!

 

19 Uhr, seit 10 Stunden unterwegs, wir sind rechtschaffen müde. Wo ist unser Übernachtungsplatz?

Hier jedenfalls nicht. Über viele Kilometer fahren wir an abgestellten Lkws vorbei, jeder Zentimeter ist besetzt. In der einen Richtung genauso wie in der anderen. Wir fahren aus der Stadt, Richtung georgische Grenze – dasselbe Bild, nichts geht mehr. Und nun?

Nochmal umdrehen und Ausschau halten. Etwas abseits sichten wir einen leeren Parkplatz vor einem Restaurant. Schnell abbiegen, die Einfahrt ist etwas knifflig, aber machbar. Erschöpft stellen wir die Rappelkiste ab. Martin geht ins Restaurant und fragt, ob wir über Nacht bleiben dürfen?

„No Problem, you´re welcome!“ Was für ein Glück!

Um 21 Uhr sitzen wir müde und glücklich im Restaurant, vor uns 2 Gläser Rotwein und köstlich gegrillter Fisch.

376 Kilometer, 9 Stunden reine Fahrzeit, im Durchschnitt 42 km/h.

11 Stunden unterwegs, eine lockere Fettkappe und 1000 verschiedene Eindrücke – der superlange Fahrtag ist geschafft.

Heute werden wir tief und fest schlafen…..

Liebe Grüße, bis bald!

Julia & Martin

Drink positive!

Auf Instagram: Rappelkisteberlin

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert